Krankenhäuser in der Zeit nach Corona

Juli 2020

Gemeinsam auf dem Weg zu einem
„Pandemie-sicheren“ Krankenhaus

In der Krisensituation einer Pandemie übernehmen Krankenhäuser selbstverständlich eine Schlüsselrolle in der medizinischen Versorgung. Umso wichtiger ist die Frage, inwieweit Krankenhäuser auf diese Aufgabe vorbereitet sind. Sind die Kapazitäten der Intensivmedizin ausreichend? Sind strukturelle Veränderungen notwendig, damit die reguläre medizinische Versorgung auch in Ausnahmesituationen gewährleistet werden kann?

Solange es noch keinen wirksamen Impfstoff gibt, sind die effektiven Maßnahmen, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern: Abstand, Isolation und Quarantäne. Diese Maßnahmen stehen in direktem Zusammenhang zur architektonischen Organisation des Krankenhauses.

Das führte bei Wiegerinck zu der Frage: Welchen Beitrag kann ein Krankenhausgebäude im Sinne seiner räumlichen Organisation leisten, um besser für künftige Virusepidemien gewappnet zu sein und eine optimale medizinische Versorgung zu unterstützen?

Die unten aufgeführten Punkte sind hierzu erste Überlegungen, die aus der niederländischen Perspektive heraus entwickelt wurden. Trotzdem oder gerade deshalb sind sie auch für deutsche Krankenhausorganisationen von Interesse, weil die ausgeführten Punkte in ihrer Gesamtheit ein umfassendes Bild möglicher Maßnahmen ergeben. Es sind Denkanstöße, die das Gespräch über ein Krankenhaus in Zeiten der Pandemie anregen sollen.

Effektive Virusbekämpfung: Das Anpassen der physischen Umgebung steht an zweiter Stelle.

Die Zahlen lügen nicht

Ist es tatsächlich wichtig, darüber nachzudenken, wie man Krankenhäuser noch sicherer machen kann? Die Antwort lautet: Ja! Denn SARS-CoV-2 ist mit Sicherheit nicht das letzte Virus, das die Wirtschaft und das öffentliche Leben für längere Zeit stilllegt. Das bestätigt auch ein Blick in die Vergangenheit. Die Spanische Grippe von 1918–1920 kostete 20 bis 40 Millionen Menschen das Leben. SARS, auch ein Corona-Virus (ebenso wie auch MERS), führte in den Niederlanden zu 8.000 Erkrankten und 774 Todesopfern. Die Mexikanische Grippe von 2009–2020 forderte weltweit zwischen 123.000 und 203.000 Opfer. Neben diesen Ausbrüchen darf man natürlich auch die „normale“ Grippe – an der im Jahr 2018 allein in den Niederlanden 9.444 Menschen starben – oder das ansteckende Norovirus nicht aus den Augen verlieren. Demzufolge scheint das Nachdenken über ein „Pandemie-sicheres“ Krankenhaus sinnvoll – denn die Frage scheint nicht zu sein, ob es eine neue Virusepidemie geben wird, sondern vielmehr wann sie sich ereignen wird.

Architektur und Gesundheit

Bereits Florence Nightingale wies darauf hin, dass die physische Umgebung einen größeren Einfluss auf verwundete Soldaten hatte als die Heilung der eigentlichen Verletzungen.

Wiegerinck beschäftigt sich fortwährend mit der Frage, wie Architektur zu Gesundheit und Wohlbefinden beitragen kann. Wir nutzen unsere Arbeit als Forschungsobjekt – wir hinterfragen unsere Arbeit nach der Methode des Evidence Based Design (EBD) und implementieren die Ergebnisse wiederum in unsere Projekte. Außerdem setzen wir uns mit den relevanten Publikationen und Forschungsergebnissen – beispielsweise über SARS – auseinander, und analysieren, welche Lehren wir daraus für die Zukunft ziehen können. Wie können wir durch Anpassungen in der physischen Krankenhausumgebung verhindern, das sein Virusausbruch die medizinische Grundversorgung gefährdet? Und was sind die neuralgischen Punkte in diesem Prozess?

Kritische Phasen: Triage und Notaufnahme

Welche der Personen, die im Krankenhaus akut oder stationär aufgenommen werden sind mit dem Virus infiziert und welche nicht? Das ist in den vergangenen Monaten ein besonders kritischer Aspekt im Krankenhausalltag. Eine Möglichkeit, um den Patientenfluss zur Triage, der Ersteinschätzung, sicherer zu machen, kann die Abdeckung oder Abtrennung des Eingangs zur Notaufnahme sein. Eine andere Lösung ist der Umbau der Ankunftshallte für Rettungswagen oder eine entsprechende Umgestaltung eines Teils des Parkhauses, die verhältnismäßig schnell zu realisieren sind. Entsprechende Entwurfslösungen, wie eine außerhalb des Krankenhausgebäudes gelegene sogenannte „Drive-Through-” oder „Pop-up-Triage“ werden bereits umgesetzt. Sie führen dazu, dass der Druck auf die Notaufnahme vermindert wird, Patienten gezielter verteilt werden können und die medizinische Grundversorgung weitestgehend uneingeschränkt aufrecht erhalten werden kann.

Prinzipiell ist zu erwarten, dass die Triage in Zusammenhang mit dem Thema e-Health in Zukunft eine noch größere Rolle spielen wird. Das kann bedeuten, das neuartige Sprechzimmer benötigt werden, die speziell auf die Anforderungen von Bildtelefonie ausgerichtet sind. Mithilfe digitaler Anwendungen und Video werden viele Patienten bereits (teilweise) diagnostiziert, bevor sie ins Krankenhaus kommen und können dort zielgerichtet die entsprechende Abteilung aufsuchen.

 

Verschiedene Trennungsmöglichkeiten

Menschenströme voneinander trennen

Wichtig wird in Zukunft auch die genaue Analyse der Wege sein, auf denen die Patienten nach der Ersteinschätzung zur Intensivstation, zu den (Isolations-)Patientenzimmern oder anderen, separierten Abteilungen gelangen.

Sowohl beim Neubau als auch bei der Renovierungen von Krankenhäusern ist es unerlässlich, sich intensiver als bisher mit Routing, Kompartimentierung und Pufferzonen zu beschäftigen. Derzeit untersuchen wir beispielsweise, ob Maßnahmen wie Einbahn-Laufwege sinnvoll sein könnten. Die Trennung der Patientenströme von den Personalrouten (Ärzte, Pflegepersonal, Reinigung, Essen, Logistik etc.) wird noch selbstverständlicher Bestandteil jedes Entwurfs werden. Das Separieren von Funktionsrouten wird auf Basis der EBD-Untersuchungen bereits seit längerer Zeit empfohlen.

Das Virus und seine Auswirkung auf die Pflege

In der kommenden Zeit wird sich zeigen, welche Folgen die Maßnahmen rundum Covid-19 auf die reguläre Pflege hatten. Aus Studien, beispielsweise über SARS, wissen wir, dass es bei einigen Krankenhäusern mehrere Monate bis hin zu anderthalb Jahren gedauert hat, bis die medizinische Versorgung wieder regulär erfolgen konnte und alle Behandlungen wieder durchgeführt werden konnten. Wie groß ist der entstandene Schaden für die Volksgesundheit durch verspätete medizinische Behandlungen aufgrund von Covid-19 und ist er zu verantworten?

Könnte es sinnvoll sein, einige Disziplinen künftig außerhalb des Krankenhauses unterzubringen, sodass sie auch in Ausnahmesituationen sicher weiterarbeiten können? Legitime Fragen, auf die wir gerne Antworten finden möchten.

Risiko als Ausgangspunkt

Das Risiko einer Epidemie oder einer anderen Krisensituation sollte nach unserer Auffassung ein wichtiger Ausgangspunkt beim Entwerfen eines neuen Krankenhauses oder der Renovierung eines Bestandsgebäudes sein, damit es beispielsweise bei einem Virusausbruch schnell angepasst werden kann. EBD zeigt, dass Einzelzimmer die sicherste Lösung für die Gesundheit der Patienten sind. Die physische Isolierung von Patienten – von der Aufnahme bis zur Entlassung – ist sinnvoll, besonders weil oft nicht bekannt ist, ob jemand mit ein Virus oder ein Bakterium in sich trägt. Darüber hinaus empfiehlt EBD bereits seit Jahren standardisierte Gebäude, um die Abteilungen bzw. Zimmer flexibel und einfach anpassen zu können, wenn dies in besonderen Situationen nötig ist.

Standardisierung – ein großer Schritt nach vorne

Ein Krankenhausgebäude, neu oder bestehend, kann ausgehend von der Idee einer klaren Kompartimentierung entworfen werden. Die Pflegestationen und die Intensivstation, aber auch ein Teil der Notaufnahme können so bei einem Virusausbruch von den anderen Pflegeprozessen abgekoppelt werden und für die Betreuung der infizierten Patienten genutzt werden. Der Rest des Krankenhausbetriebs kann auf diese Weise uneingeschränkt weitergehen. Dabei müssen neben architektonischen Aspekten natürlich auch Aspekte der TGA berücksichtigt werden. Denn die „Kompartimente“ müssen natürlich so entworfen sein, dass die verschiedenen Gebäudeteile selbstständig und unabhängig voneinander funktionieren.

Vorteile von e-Health für die Facharztpraxen im Krankenhaus (Polikliniken)

Die in den Niederlanden üblichen Polikliniken generieren den größten ambulanten Patientenstrom im Krankenhaus. Hier wird muss es hinsichtlich des Einsatzes von e-Health einen enormen Schub geben. Denn mithilfe von e-Health können die Patientenströme besser gesteuert werden.

Ein großer Teil der Aufnahmegespräche, Anmeldung, Kontrolle und Folgetermine können über eine Videoverbindung sicher online stattfinden. Der Patient befindet sich zu Hause und nutzt ein Smartphone, ein Tablet oder einen Laptop. Er ist mit dem Arzt oder einer Krankenschwester verbunden, die sich in einem e-Health-Sprechzimmer mit entsprechender Kamera, Beleuchtung und Akustik befinden. Durch den Einsatz eines digitalen Terminvergabesystems und einer Echtzeit-App für Sprechstunden kann die Anzahl der Menschen, die unnötigerweise im Krankenhaus warten, deutlich reduziert werden (on-time).

Mehr Platz, sicherere Laufwege

Großzügige Eingangsbereiche durch die die Menschen in eine geräumige Halle gelangen, in der man gut Abstand voneinander halten kann, werden künftig sicher in allen Krankenhäusern zu finden sein. Ansammlungen von Menschen müssen im gesamten Krankenhaus soweit als möglich vermieden werden. Eingänge und Ausgänge werden so angeordnet, dass der Menschenstrom aus gesunden und infizierten Personen gut beherrschbar ist. Die Anzahl von Warteräumen wird abnehmen, während sich der Abstand zwischen den Sitzplätzen vergrößern wird. Situationsabhängig können auch alternative Lösungen entwickelt werden. Zum Beispiel können Patienten sich auch direkt ins Untersuchungszimmer begeben, das der Arzt erst nach dem Patienten betritt. In diesem Fall werden Anmeldung und Folgetermine unterschiedlich gehandhabt: Die Anmeldung erfolgt von zu Hause und die Folgetermine werden im Krankenhaus im Sprechzimmer oder in abgeschlossenen Bereichen vereinbart.

Veränderte Pflegeumgebung

Möglichst wenig Menschen an einem Ort, die möglichst viel Abstand zueinander einhalten – das wird künftig auch der Ausgangspunkt für Pflegestationen, Behandlungsumgebungen und ambulante Behandlungen sein. Wann immer bei einem Patienten eine ambulante Behandlung möglich ist, muss er nicht unnötigerweise stationär aufgenommen werden.

Wird es künftig mehr Abstand zwischen den Patientenbetten geben, und werden aus 1,5 Meter Abstand künftig 6 Feet, also beinah 2 Meter? Ist eine stärkere Abtrennung zwischen Betten oder Behandlungsliegen erforderlich als nur durch einen Vorhang, um die Ausbreitung von Krankheitserregern zu verringern?

In den USA gibt es inzwischen Beispiele von „Cubicle“-artigen Zimmern, die bereits in Richtung eines geschlossenen Einzelzimmers gehen, das auf der Basis von EBD wünschenswert ist.

In jedem Fall geht die Entwicklung in Krankenhäusern hin zu standardisierten, sicheren Räumen, die eine flexible Erweiterung ermöglichen, beispielsweise auch während einer ,normalen’ Grippewelle.

Sicherheit des Personals

Der Patient steht zentral bei vielen Entwurfsentscheidungen, selbstverständlich jedoch sind die Gesundheit und Sicherheit des Personals in einer angenehmen und attraktiven Arbeitsumgebung genauso, wenn nicht noch wichtiger.

Das Personal, dass in intensiven Schichten arbeitet, benötigt ausreichend Platz, um sich von der anspruchsvollen Arbeit zu erholen – zum Beispiel angenehm gestaltete, große Pausenräume, große Außenbereiche und Schlafplätze. Überall im Krankenhaus werden mehr Räume nötig sein, in denen das Personal sich umkleiden und mit der vorgeschriebenen Schutzkleidung ausstatten kann. Diese Zimmer dürfen nicht zu klein sein, denn dann ist das Infektionsrisiko zu groß. Die Wichtigkeit persönlicher Schutzausrüstung (Mundschutz, Kittel, Schutzbrillen usw.) hat sich bereits bei den SARS-Ausbrüchen gezeigt, ebenso wie die Bedeutung des Händewaschens in jedem Zimmer. Was dies für jedes Krankenhaus bedeutet, zum Beispiel in Hinblick auf den Bedarf an zusätzlichen Waschbecken, sollte im Einzelfall geprüft werden.

 

Effektives und effizientes Reinigen

Das schnelle und effektive Reinigen der Patientenzimmer und Badezimmer ist essenziell, besonders in Zeiten einer Epidemie. Dabei lohnt es sich auch, die Oberflächen und Materialien in den Blick zu nehmen. SARS-Viren können sechs Tage auf einer trockenen Oberfläche überleben. Und es scheint, als ob SARS-CoV-2 -Viren länger auf Edelstahl und Komposit existieren können, während sie auf Holz, Baumwolle und Leder nur 24 Stunden überleben.

Insgesamt gilt: Je weniger Oberflächen berührt werden, desto besser. Die Wasserhähne und Alkohol- und Seifenspender mit Ellenbogenbedienung sind inzwischen bekannt. Automatische Türen, Sprachsteuerung und andere berührungsfreie Technologien helfen dabei, möglichst „kontaktlos“ zu arbeiten und dadurch Infektionen zu vermeiden.

Während des Entwurfsprozesses reden wir mit Krankenhäusern bei diesem Thema noch zu oft ausschließlich über gut zu reinigende Fußböden und Wände, aber wir müssen alle konsequenter weiter denken. Türklinken, Bedienungsknöpfe in Aufzügen und Treppengeländer sind möglicherweise noch wichtiger, um Kontaktinfektionen zu vermeiden. Kürzlich wurde eine Studie darüber publiziert, dass Bakterien nicht auf Kupfer überleben können. Diese Erkenntnis könnte beispielsweise künftig bei der Auswahl der Türklinken berücksichtigt werden. Und so wird es sicher in Zukunft noch effektivere Hygienelösungen geben.

 

Belüftungsmethoden

Gesunde Luft

Es ist bekannt, dass die Luftzirkulation in einem Krankenhaus auch eine wichtige Rolle spielt. Niederländische Krankenhäuser sind in dieser Hinsicht gut aufgestellt. Saubere, nicht umgewälzte Luft ist die Norm und Luftfilterung kann sehr effektiv ein. HEPA-Filter und GUV/UVGI (Ultraviolett) helfen dabei, Krankheitserreger aus der Luft zu filtern, auch wenn beispielsweise HEPA-Filter bei SARS – im Gegensatz zu einer guten Regelung des Luftdrucks – keinen Effekt hatten.

Höchstwahrscheinlich haben Luftfeuchtigkeit und Temperatur auch einen Einfluss auf die Verbreitung von Virussen wie SARS-CoV-2. Bei Ansteckungen zwischen Patienten eines Zimmers, wie auf der Intensivstation oder im Holding-Bereich, ist dies sicher der Fall. Aus der SARS-Forschung weiß man inzwischen, dass hohe Räume mit Deckenventilatoren und offene Fenster (natürliche Lüftung) zu weniger Ansteckungen führen als kleine Zimmer ohne Fenster.

Kompartimentierung

Trennung und Kompartimentierung sind wichtige Schlüsselbegriffe in Hinblick auf die TGA. Können bestimmte Bereiche der OP`s während einer Epidemie losgekoppelt werden, sodass normale Eingriffe weiterhin sicher durchgeführt werden können? Die Möglichkeit der Abtrennung ist übrigens für alle Abteilungen und Räume wichtig, die bei einem Virusausbruch technisch unabhängig voneinander funktionieren müssen, wie zum Beispiel ein eigenständiger Gebäudeflügel für infizierte Patienten oder losgekoppelte Bereiche der Notaufnahme. Die Grundidee dabei ist, dass die kontaminierte Luft sich nicht über die abgeteilten Risikozonen hinaus im Gebäude verteilen kann.

Telemetrie

Die bestehende Telemetrie in einem Krankenhaus war oft ein Grund dafür, um im Bedarfsfall zuerst eine Herz-/Schlaganfallabteilung in eine Intensivstation umzuwandeln. Die rasche Erweiterung von Abteilungen dank Telemetrie wird auch dadurch ermöglicht, dass die Zimmer auf Intensivstationen Anschlüsse für eine Doppelbelegung haben. Auch hier ist eine Standardisierung notwendig. Standardisierte Pflegezimmer in allen Abteilungen (Acuity Adaptable Rooms) lassen sich schnell und einfach anpassen, wenn sich der Pflegebedarf verändert.

Roboter auf den Fluren

Roboter die Güter und Instrumente im Krankenhaus verteilen und die Barcodes auf den Artikeln für die Vorratsverwaltung scannen – das ist augenblicklich noch Zukunftsmusik, aber diese Art von Lösungen könnten sich nach der Pandemie durchsetzen. Sichere Bevorratung, an der so wenig Menschenhände wie möglich beteiligt sind, kann dazu beitragen, Krankenhäuser sicherer zu machen.

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